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Frank Arnold im Kulturhof Velbrück

Am 12. Juli hat Frank Arnold – nach einer Einführung durch den Präsidenten der APG – im Kulturhof Velbrück drei Passagen aus dem ‚Tanz …‘ gelesen, aus Bd. 1 „Eine Frage der Erziehung“ den Anfang, aus Bd. 3 „Die Welt des Wechsels“ das Zusammentreffen von Nick mit Onkel Giles und Mrs. Erdleigh im Ufford und aus Bd. 11 „Könige auf Zeit“ die Stelle, in der Pamela und Louis Glover den Tiepolo im Pallazzo Bragadin bewundern. Zuvor wurden Autor und Werk vorgestellt:

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Viele sind ja mit Powell und seinem ‚Tanz …‘ seit langem sehr vertraut und da ist man versucht, sogleich in medias res zu gehen, zum Beispiel mit dem Hinweis, dass der Elfenbein Verlag jetzt auch die Vorkriegsromane von Tony Powell auf deutsch vorgelegt hat, zuletzt Agents and Patients unter dem einfallsreichen Titel ‚Handelnde und Duldende‘, den der Kritiker Thomas Laux eine „schelmische Burleske …. eines der meist unterschätzten Autoren des 20. Jahrhunderts“ genannt hat.

Aber langsam.

Für die, die noch nicht so im Thema sind, was sich heute abend aber garantiert ändern wird, hier erst einmal eine kurze Übersicht über Autor und Werk. AP ist 2000 im Alter von 95 Jahren verstorben. Einzelkind in einer Soldatenfamilie. Mutter mit Hang zum Okkulten, der 15 Jahre jüngere Vater mit Hang zum Jähzorn. Schulzeit in Eton. Studium in Oxford. Lektor bei Duckworth & Co und Drehbuchautor in Hollywood. Jahrzehntelang im Nebenberuf Kritiker für das TLS und den Punch, dessen Herausgeber er auch war. Erstes Vorbild Anfang der 20er waren weder James Joyce noch Virginia Woolf, deren Ulysses bzw. Jacob’s Room im Todesjahr von Marcel Proust erschienen sind, sondern dessen zeitgleich auf englisch erscheinender erster Band der Recherche. Der Titel Remberence of Things past wurde sehr kritisiert, obwohl der Übersetzer mit diesem Zitat aus Shakespeares Sonnet 30 das englische Publikum locken wollte. Und dann The waste Land von TS Elliot, auch aus 1922, und …. erstaunlicherweise Ernest Hemingway. Nach Proust und Elliot würde in der Literatur nichts mehr so sein wie zuvor, da war sich der gerade 18 gewordene Powell mit seinen Freunden einig. Weitere Vorbilder waren die großen Russen, Dostojewski und vor allem Gogol, aber auch John Galsworthy, dem er ein Denkmal gesetzt hat mit dem fiktiven Schriftsteller St. John Clarke, was Sinjin ausgesprochen wird, was an das erste Pseudonym von Galsworthy John Sinjohn erinnern soll. Das ist typisch Powell: subtile Denkmäler für die, die er verehrt, kleine Spitzen für die, die er nicht so gut leiden kann. Während des Blitz über London suchen ein General und der Ich – Erzähler Nick Jenkins Schutz unter einem Tisch. Der General hat ein Buch von Anthony Trollope dabei und fragt Nick, was er davon halte. ‚Not much‘ ist die Antwort, während Nick still ein Exemplar der Recherche an sein Herz drückt. Und als die Rede auf Virginia Woolf’s Orlando kommt und Nick um seine Meinung gefragt wird, weicht er aus. Aber als er sich festlegen soll ‚Did you like it, yes or no?“  antwortet er „No“ und als der andere dagegen hält, „that woman can write“ meint Nick: „Yes. I can see that. But I still didn’t like it“.

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AP, der schon vor dem Krieg mehrere Romane veröffentlicht hatte, trug sich schon länger mit dem Gedanken, einen generationenübergreifenden Gesellschaftsroman zu schreiben und er hat dieses dann zwischen Anfang der 50er Jahre und Mitte der 70er Jahre verwirklicht. Der Titel „A dance to the music of time“ stammt von einem gleichnamigen Gemälde von Nicholas Poussin, etwa aus dem Jahr 1640, das AP in der Wallace Collection gesehen hat (wo es heute noch hängt und besichtigt werden kann).  Das Gemälde von Poussin, das vier Gestalten in einem Tanzreigen zeigt, die sich zur Musik des im rechten Vordergrund sitzenden Flöte spielenden Gottes Chronos bewegen, schien Powell das rechte Sinnbild für sein Romanvorhaben zu sein. Ein 12bändiges Werk von über 3.000 Seiten, das mit den Schüssen von Sarajevo beginnt und Anfang der 70er Jahre in einer etwas obskuren Universität in den Midlands endet. Über 400 Personen tauchen auf, treten wieder ab, und erscheinen dann, manchmal erst nach Jahrzehnten und in ganz anderen Rollen, wieder.

Auch hier Eton und Oxford, dann die City of London, wir bewegen uns unter Parlamentariern und im House of Lords. Andererseits begegnet uns die intellektuelle Bohème von Fitzrovia, das war der von AP bevorzugte Gegenentwurf zu Bloomsbury, deren Mitglieder AP für ‚pretenders‘ hielt. Wir bewegen uns in Musiker-, Maler- und Schriftstellerkreisen, ein Kritiker spricht denn auch davon, Powell habe ein „Doppelleben“ geführt, ganz wie sein alter ego, der Ich – Erzähler Nicholas Jenkins. So ist der „Dance…“ ein Kaleidoskop der unterschiedlichsten Figuren und deren Lebensläufen. Nick Jenkins spielt eigentlich nur eine beobachtende und erzählende Rolle im Hintergrund, Hauptakteur ist der allseits extrem unbeliebte Kenneth Widmerpool. Unzählige weitere Figuren kommen hinzu, Mitschüler in Eton, Kommilitonen in Oxford, die dann Karriere machen in der City, in der Politik, als Musiker, Maler oder Schriftsteller. Wir lernen wunderbare Damen kennen wie Baby Wentworth oder Bijou Ardglass, die beide mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln um die Position der führenden Gesellschaftsdame wetteifern. Und da ist Mona, ursprünglich ein Model für Zahnpasta, deren Bild einen von jedem Londoner Bus anlacht. Aus ihrer Ehe mit dem gut situierten Frauenhelden Peter Templer flieht sie in die Arme des Trotzkyisten J.G. Quiggin, Oxford – Absolvent und später Herausgeber der linken Zeitschrift „Fission“, nur um von dort wiederum mit dem als Tramp camouflierenden Lord Warminster, für den George Orwell Pate gestanden hat, nach China zu entfliehen, um sich dort persönlich ein Bild von der Revolution zu machen. Diese Reise lässt sie dann völlig von der Bildfläche verschwinden und erst Jahre später taucht sie plötzlich wieder auf, nur um Nick zu erzählen, dass sie Warminster in China verlassen musste, weil es dort nichts Vernünftiges zu trinken gegeben habe. Führend in der Damenwelt ist Pamela Widmerpool. Ebenso extrem gutaussehend wie extrem exzentrisch, taucht sie 1942 aus dem Nichts auf als freiwillige Fahrerin im Kriegsministerium. Nach dem Krieg heiratet sie ausgerechnet Kenneth Widmerpool, nur um allen zu zeigen, dass sie zu allem fähig ist (rhetorische Frage ihrer Mutter: „Wie konnte sie nur? Da findet sie den schrecklichsten Mann auf Gottes Erden und heiratet ihn?“), verlässt ihren Mann für den Avantgarde-Schriftsteller X. Trapnel, verlässt auch diesen wieder, wobei sie, sozusagen als Abschiedsgeschenk, das einzige Manuskript seines neuen Romans ins Wasser wirft, weil sie es als unter seinen Möglichkeiten empfindet. Der schon erwähnte Kritiker Laux spricht zurecht von einem „drolligen Personenkabinett“, das „bis in die Nebenrollen hinein ausgeleuchtet“ werde, wobei „gerade die Frauen mit ihrer Frivolität und ihrem eigensinnigen Gehabe eine wunderbare Bereicherung“ darstellten.

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AP hat höchstes Lob bis intensive Ablehnung erfahren, ein Kritiker hat ihm bescheinigt, nur Bettlektüre in Form einer „gaga saga“ produziert zu haben. Anders George Orwell, politisch auf der anderen Seite von AP zu verorten, der eine im Spanischen Bürgerkrieg, der andere Margret Thatcher – Fan, der gute Worte fand: “Tony is the only Tory I like“. V.S. Naipaul hat ihn mit Jane Austen gleichgesetzt, P.G. Wodehouse, Nancy Mitford, Kingsley Amis, Cyrill Connolly, sie alle erkannten die Qualität von AP und anerkannten sie auch. Evelyn Waugh hat es auf den Punkt gebracht, wie in der Einladung nachgelesen werden kann. Das alles ist bis heute ungebrochen: Patrick Alexander – Lane versucht sich in dem soeben erschienen ‘A Dance to Lost Time’ an einer Parallelwertung von Proust und Powell und Daisy Dunn beruft sich in ihrem ‚Not far from Brideshead – Oxford between the wars’ immer wieder auf Powell als Zeitzeugen. Wie auch Richard Davenport – Hines in seinem Buch über die Profumo/Keeler – Affaire ‚An English Affair: Sex, Class and Power in the Age of Profumo‘. Der Schriftsteller und Literaturhistoriker D.J. Taylor hat in einem Beitrag über George Orwell ganz beiläufig und selbstverständlich die Kenntnis des Lesers von Powellschen Romanen vorausgesetzt. Seine Interviewpartner hätten sich versammelt „as in an Anthony Powell novel“. Sie seien trotz schlechten Wetters herbeigeeilt „like Widmerpool hastening through the Berkshire mist“.

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Aber auch die Widersprüche halten bis heute an: Ein konservativer Abgeordneter bezeichnet sich in seinen jüngst publizierten Memoiren als totaler Powell – Fan, ein linker Autor nennt die Lektüre des Dance … in einem Buch mit dem originellen Titel ‘The Last Days Of Roger Federer’ reine Zeitverschwendung, a total waste of time. Aber solche Kritiker sehen den Punkt nicht. Außer natürlich, dass er das Monumentalwerk der englischen Literatur in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts geschrieben hat, hat Powell ganz bewusst eine Art literarischen Pointilismus erfunden, bei dem aus vielen kleinen Beobachtungen das große Bild entsteht. Er wie auch Barabra PYM, der ein Kritker bescheinigt hat, mit petit point zu arbeiten, beruft sich hier auf den Autor Logan Pearsall Smith, für den Cyrill Connoly, einer der engsten Freunde von Powell, eine Zeitlang gearbeitet hat, der einen Band mit Aphorismen herausgegeben hatte mit dem vielsagenden Titel All Trivia. Tonys Worten zufolge ist der ‚Dance… told over the diner table‘. Also eine Schilderung von ganz Persönlichem im Kreis von Freunden, eine Sammlung von Anekdoten, Begegnungen und auch Gesellschaftstratsch. Nicht der große historische Kontext steht im Vordergrund, sondern Powell entwickelt seine Erzählung vom Kleinen zum Großen, vom Alltäglichen, eben vom Trivialen zu den großen Sinnfragen. Ganz am Ende seiner Memoiren, also auf den letzten zwei Seiten, die er je für das Publikum geschrieben hat, entwickelt er eine Art Schreib – Vermächtnis, wobei er von den small things spricht, die im Zentrum der Erzählung zu stehen hätten, damit sich aus der Summe der vielen kleinen Dinge am Ende das große Ganze ergibt. Und zum Beweis für diese These widerholt er die Anekdote, die Varesi über den Bildhauerfürsten Michaelangolo erzählt hat, wie dieser nach heftigem Schneefall in Florenz von einem Medici – Fürsten aufgefordert wird, im Schloßhof einen Schneemann zu bauen. Ein höchst vergängliches Denkmal vom bedeutendsten Bildhauer aller Zeiten. Aber dennoch sei kein Zweifel erlaubt, so Powell, dass hier der schönste Schneemann aller Zeiten entstanden sei.